Eine Mutter berichtet, dass ihre Tochter schon wenige Wochen nach der Einschulung die Lust am Unterricht verloren hat. Die anderen Mütter wissen ein Lied davon zu singen und bestätigen, dass es bei ihren Kindern nicht viel anders war. Alexander Albrandt erzählt auch von seinem dreijährigen Sohn Leon. Sein liebstes Spiel ist "Rennauto fahren". Der kleine Junge setzt sich immer auf den Schoß seines Vaters. Gemeinsam sausen die beiden im elektrischen Rollstuhl durch die Wohnung. Alexander Albrandt ist seit fast 15 Jahren an Muskelschwund erkrankt und seit 2004 auf einen Rollstuhl angewiesen. Auch die anderen Eltern am Tisch haben ein Handicap: eine blinde Mutter von zwei Kindern sitzt Alexander Albrandt direkt gegenüber, eine andere ist gehbehindert. "Als Caritas setzen wir uns dafür ein, was eigentlich selbstverständlich sein müsste: Dass auch behinderte Menschen das Recht haben, Eltern zu sein", so Projektleiterin Elisabeth Fink. Eltern wie Alexander und seine Frau Elena.
Der Weg in die Isolation
Für Alexander Albrandt begann alles 2001 auf einer Parkbank vor dem BMW-Werk. Der damals 21-jährige Elektroniker wollte aufstehen und in den Werksbus einsteigen. "Ich kam auf einmal nicht mehr hoch. Meine Kollegen mussten mich hochheben, ich würde sonst heute noch da sitzen", erinnert sich Alexander. Nach diesem Erlebnis ging er sofort zum Arzt. Dieser hatte einen Verdacht: genetisch bedingter Muskelschwund. Über die Jahre verlor der junge Mann immer mehr die Kontrolle über seinen Körper. Zunächst konnte er seine Beine nicht mehr bewegen, dann waren die Arme betroffen. Seine Hände kann er noch steuern, deshalb hat er seit einigen Monaten einen elektrischen Rollstuhl. "Zuvor mussten mich meine Eltern überall hinschieben. Irgendwann hatten sie nicht mehr die Kraft dazu." Seine Frau konnte ihm auch nicht helfen. Sie ist seit ihrer Jugend durch einen Unfall querschnittsgelähmt.
Umschulung auf Familie
Eltern und Familie waren für Alexander immer großer Rückhalt. 1994 kam die Familie als Spätaussiedler aus Usbekistan nach Deutschland. Seine Eltern arbeiteten hart, um den Kindern eine gute Zukunft zu eröffnen. Doch es kam eben anders: Aufgrund seiner Krankheit konnte er bald nicht mehr laufen und seinem Beruf nicht mehr ausüben. 2005 schloss er eine Umschulung zum Fachinformatiker erfolgreich ab. Zu jener Zeit war er aber schon so krank, dass er in Frührente gehen musste. "Die Arbeit war davor mein Leben und meine Kollegen waren meine zweite Familie", so Albrandt. Er zog sich immer weiter zurück. Seine Wohnung im dritten Stock verließ er kaum mehr. Nur einmal im Jahr fuhr er in ein Sommercamp für behinderte Jugendliche auf die Krim. Dort lernte er seine spätere Frau Elena kennen. Das Paar heiratete 2010 und 2012 kam dann Sohn Leon zur Welt. Die kleine Familie lebte allerdings weiterhin isoliert.
In wenigen Monaten viel erreicht
Mit etwas Unterstützung und Zeit gelingt es Alexander Albrandt eine Butterbreze zu essen. Er lacht viel und streicht sich immer wieder seine langen dunklen Haare aus dem Gesicht. "Ein bisschen eitel bin ich schon. Ich will ja den Damen hier am Tisch - und besonders meiner Frau - gefallen", scherzt er. Er ist heute bereits das fünfte Mal beim Elterntreff. Man kennt und vertraut sich. "Wir sind froh, dass Alexander und Elena hier sind. Wir lernen voneinander. Sie machen nochmal andere Erfahrungen als Eltern, bei denen nur ein Teil behindert ist", so Projektleiterin Irene Hau. Insgesamt haben bereits zehn Treffen stattgefunden. "Im Juli waren wir im Park picknicken, im Frühjahr machten wir einen Ausflug", berichtet Hau. Vor allem das Netzwerken und der Austausch unter den Eltern sind den Beraterinnen immens wichtig. Jeder lerne vom anderen und diejenigen, die bereits während der Schwangerschaft zur Gruppe stoßen, profitierten davon sehr. Der Erfolg ist bereits sichtbar: Seit Bestehen des Elterntreffs sind zahlreiche Elternassistenzen vermittelt worden. Diese helfen den Eltern mit Behinderung im Alltag und werden einkommensabhängig vom Bezirk Oberpfalz genehmigt. "Das Zusammenwirken mit dem Bezirk als Kostenträger ist da sehr gut. Der Bezirk hilft den Eltern, wo es möglich ist", so Hau. "Bevor ich zum Elterntreff kam, wusste ich gar nicht, dass so etwas geht", sagt Alexander.
Durch den Elterntreff "richtig aufgetaut"
Alexanders Eltern empfahlen ihm, sich an die Offene Behindertenarbeit (OBA) der Caritas zu wenden. Dort sollte er wieder mit anderen Menschen in Kontakt kommen und Ausflüge machen. Konrad Kett, der Leiter des Dienstes, hat Erfahrung und schätzte schnell den besonderen Bedarf der jungen Familie Albrandt ein. Ein Anruf bei seinen Kolleginnen von der Schwangerschaftsberatung reichte. Die Teilnahme am Elterntreff tut der gesamten Familie gut. "Alexander ist, seit wir ihn kennen, richtig aufgetaut. Er lacht viel und ist immer fröhlich", sagt eine Teilnehmerin. Alexander bestätigt dies. Er und seine Familie hätten in diesem Jahr so viel unternommen, wie in den ganzen letzten Jahren nicht. Und für das neue Jahr ist auch schon wieder einiges geplant.
Nach dem Frühstück helfen alle zusammen und decken den Tisch ab. Was sich das Ehepaar Albrandt für die Zukunft wünscht? "Dass mehr Menschen mit Behinderung den Mut haben, Kinder zu bekommen. Es klappt, wenn man sich austauscht und einander hilft", sagt Alexander. Irene Hau und Elisabeth Fink erhoffen sich, dass behinderte Eltern mehr Rückhalt und Unterstützung bekommen. Zu oft stehen Gesetze und Regeln im Weg. Und alle wünschen sich, dass noch mehr Eltern mit Behinderung zum Treff kommen. "Unser Frühstückstisch kann vergrößert werden. Das ist kein Problem", sagt Hau.