Der riskante Konsum von Alkohol oder Medikamenten bleibt bei älteren Menschen häufig unbemerkt. Viele leben zurückgezogen und haben wenig soziale Kontakte - niemandem fällt etwas auf. Die Einsamkeit kann eine Abhängigkeit aber nicht nur verstecken, sondern auch verstärken: Bei Ängsten und Depressionen suchen auch ältere Menschen manchmal Erleichterung durch Alkohol oder ein Schlafmittel.
Seit mehreren Jahren bietet die Caritas Fachambulanz für Suchtprobleme in Regensburg zahlreiche Angebote speziell für Senioren mit einer Suchterkrankung oder riskantem Konsumverhalten. Monika Gerhardinger leitet die Fachstelle "Lebensqualität im Alter". "Suchtkranke sind sich ihrer Abhängigkeit oft nicht bewusst oder wollen sich diese nicht eingestehen", sagt Gerhardinger. "Gerade für ältere Menschen ist die Hemmschwelle, zu einer Beratung zu gehen, extrem hoch." Das bestätigt Stephanie K. (Name von der Redaktion geändert). Die 78-Jährige kennt die Gedanken, die viele Betroffene davon abhalten, Hilfe anzunehmen: "Ich habe mich geschämt. Ich wollte mich nicht outen müssen."
Gesprächsgruppe für Senioren
K. nimmt seit einigen Jahren regelmäßig an einem speziellen Gesprächskreis für Senioren teil, den Gerhardinger über die Jahre aufgebaut hat. "Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist die Gruppe ein fester Bestandteil in ihrem Alltag", so Gerhardinger. Die Gesprächsgruppe bietet Gelegenheit, sich vorurteilsfrei über Probleme, Ängste und Sorgen auszutauschen. "Ich wurde kein einziges Mal schief angesehen, auch nicht, wenn ich mal rückfällig geworden bin", erzählt Stephanie K. Die positive Atmosphäre läge auch an der Wertschätzung der Gruppenleiterin Gerhardinger: "Ich bin nach wie vor begeistert, dass die Caritas etwas für die älteren Menschen macht, nicht nur für die jungen."
Begleitet wird das Angebot von Ehrenamtlichen, die selbst eine Suchterkrankung haben, aber seit Langem abstinent leben. "Viele denken, der Betroffene hat aufgehört zu trinken – Problem erledigt", so Gerhardinger. Doch um die Abstinenz zu festigen, bedarf es weiterer Anstrengungen: "Ich habe selbst sehr viel Hilfe auf dem Weg in die Trockenheit erfahren durch die Selbsthilfegruppen vom Kreuzbund", erzählt eine der ehrenamtlichen Unterstützerinnen. Sie wolle mit ihrem Engagement etwas zurückgeben.
Bei den Angehörigen der Teilnehmer findet die Gruppe ebenfalls großen Anklang: "Auch sie nehmen positive Veränderungen wahr und unterstützen die Betroffenen, dass sie in die Gruppe gehen", so Gerhardinger. So auch bei K. Ihr Mann wurde durch einen Zeitungsartikel auf das Angebot der Caritas Regensburg aufmerksam. Das Ehepaar weiß die neu gewonnene Lebensqualität zu schätzen: "Ich merke erst jetzt, dass ich eigentlich viel ruhiger und gelassener bin als all die Jahre zuvor. Jetzt erst lerne ich mich so richtig kennen", meint Stephanie K.
Für die Gruppe sind die Kontaktbeschränkungen während der Corona-Pandemie eine besondere Herausforderung. Die Einsamkeit sei ein gefährlicher Nährboden; Menschen, die bereits abstinent leben, würden in so schwierigen Zeiten häufig rückfällig, so die Suchtberaterin Gerhardinger. K. möchte den Austausch im Gesprächskreis nicht missen: "Man sollte diese Hilfe wahrnehmen, gerade jetzt in der Corona-Zeit. Die Gruppe ist für mich das A und O."
Lebensqualität im Alter steigern
Die Deutschen werden immer älter. Folglich ist anzunehmen, dass auch die Zahl der Suchtkranken im fortgeschrittenen Alter steigt. Dennoch wird Sucht im Alter bisweilen wenig bis gar nicht thematisiert. "Alkoholkonsum ist gesellschaftlich akzeptiert; Psychopharmaka gibt es auf Rezept", berichtet Gerhardinger. Gerade im Alter könne aber ein problematischer Alkohol- oder Medikamentenkonsum die Lebensqualität drastisch einschränken.
Mit der Fachstelle für "Lebensqualität im Alter" rückt sie diese Problematik in den Fokus. In den vergangenen Jahren hat Gerhardinger ein großes Netzwerk aufgebaut und maßgeschneiderte Angebote für Senioren entwickelt. Besonders eng arbeitet die Expertin dabei mit den Caritas-Einrichtungen in der Altenhilfe zusammen. Die Pflegefachkräfte werden für problematisches Konsumverhalten besonders sensibilisiert. "Die Fortbildungen in den Pflegeeinrichtungen haben einen wichtigen Prozess in Gang gesetzt", resümiert Gerhardinger.
Mittlerweile erhält Gerhardinger deutschlandweit Einladungen als Rednerin zum Thema. Die Vernetzung von Sucht- und Altenhilfe schlug sich in sorgsam erarbeiteten Richtlinien zur Zusammenarbeit nieder. Sie freut sich über die positiven Resultate und wünscht sich, dass auch in Zukunft Fortbildungen zum Thema angenommen werden: "Es findet insgesamt mehr Austausch statt, viele hinterfragen vermehrt den Konsum. Dieser Ansatz bedeutet für die Betroffenen vielfach mehr Lebensqualität."
Zusatzinformation:
Das Einzelberatungs- und Gruppenangebot der Caritas Regensburg richtet sich an alle älteren Menschen, die aufgrund ihres Konsums von Alkohol und Medikamenten Probleme bekommen haben bzw. aufgrund von Problemen verstärkt zu Alkohol oder Medikamenten greifen. Auch Angehörige können sich an die Beratungsstelle wenden. Alle Infos finden Sie hier: www.caritas-regensburg.de/sucht-im-alter oder unter Telefon 0941 / 630 82 70.