Der Konferenzraum im Caritas Beratungszentrum St. Gabriel war bei der Diskussionsrunde zum Thema Obdachlosigkeit gut gefüllt.Foto: H.C. Wagner
Regensburg. Der jüngst vorgestellte Armutsbericht für die Stadt Regensburg zeigt Licht und Dunkel einer auf den ersten Blick wohlhabenden Stadt. Wo Licht ist, ist bekanntlich auch Schatten. Obdachlosigkeit ist eines dieser Schattenthemen. Wie die Stadt damit umgeht, war Grundlage einer Podiumsdiskussion im Caritas Beratungszentrum St. Gabriel. "Für uns als Caritas ist Obdachlosigkeit kein theoretisches Thema", wies Caritas Direktor Michael Weißmann in seinen Begrüßungsworten an die hochkarätig besetzte Expertenrunde und das knapp fünfzigköpfige Auditorium auf die vielfältigen Möglichkeiten des institutionalisierten Hilfesystems hin.
"Obdachlosigkeit ist die schlimmste Form der Wohnarmut", führte Moderator Harry Landauer, Leiter der Caritas Unternehmenskommunikation in das Thema ein. Genaue Zahlen, wie viele Menschen in Regensburg ohne Obdach, also ohne festen Wohnsitz sind und wie viele auf der Straße leben, gibt es nicht. Professor Wolfram Backert von der OTH, der zusammen mit seiner Kollegin Professorin Ina Schildbach für die wissenschaftliche Grundlage und die Erstellung des Armutsberichtes verantwortlich zeichnet, sprach von einem "großen Dunkelfeld". Da bedarfsgerechte Sozialpolitik auf Zahlen basieren müsse, spielen die Erhebungen aus der Praxis, also der Streetworker und aus den Notunterkünften, eine große Rolle.
Caritas Direktor Michael Weißmann unterstrich die praktischen Handlungsfelder der Caritas in der ObdachlosenhilfeFoto: H.C. Wagner
"Wichtig ist, dass Menschen nachts in einem Bett schlafen können", antwortete Sozialbürgermeisterin Dr. Astrid Freudenstein auf die von Prof. Schildbach in die Runde geworfene Frage "Was würden Sie sich wünschen, um den Teufelskreis der Armut zu durchbrechen?". "Ich habe Unterbringung zu vergeben, keine Mietverträge" beschrieb Freudenstein die Grenzen des Hilfesystems, Obdachlose wieder in reguläre Wohnsysteme zu bringen. Aufhorchen ließ die Zahl, dass die durchschnittliche Verweildauer von Personen in ein und derselben Notunterkunft zwei Jahre und acht Monate beträgt.
Dass das nicht ohne Folgen für die Betroffenen bleibt, zeigte Linda Weber, Absolventin der Ostbayerisch-Technischen Hochschule in ihrem Kurzvortrag über ihre Bachelor-Arbeit auf. "Einfluss der Bedingungen in Notunterkünften auf die psychische Gesundheit wohnungsloser Menschen". Die Gefahr einer psychischen Erkrankung sei bei Menschen mit einer ungesicherten Wohnsituation vier Mal höher. Die Wissenschaft spricht von einer 77-prozentigen Prävalenz. Das liege ursächlich beispielsweise an einem unerfüllten Sicherheitsbedürfnis, fehlenden Rückzugsmöglichkeiten sowie mangelnder pflegerischer und psychiatrischer Versorgung. Weber formuliert in Ihrer Arbeit Mindeststandards für Notunterkünfte, die ein breites Spektrum von der Postadresse bis zur sozialarbeiterischen Beratung fordern. So viel zur Theorie.
"Wohnungsnot ist kein persönliches Versagen", schlug Brigitte Weißmann, Referatsleiterin Soziale Beratung der Caritas Regensburg, die Brücke von der Theorie zur Praxis in Regensburg. "Die Menschen erreichen einfach das Hilfesystem nicht mehr", so Weißmann, die die Angebote der Caritas vorstellte - vom TagNacht-Halt in der Landshuter Straße mit 78 Schlaf- und Aufenthaltsplätzen für Männer, über das Übergangsheim für aus der Haft entlassene Männer bis hin zum vor kurzen in Betrieb gegangenen Marienheim in der Ostengasse, das ausschließlich Frauen ohne Obdach aufnimmt, das Haus St. Rita für Frauen in besonderen Lebenslagen beherbergt und außerdem ein beschützendes Dach für Frauen bei der Reintegration in die Gesellschaft bietet. Zusammengefasst wird dieses Caritas Angebot unter dem Akronym NOAH. Diese Abkürzung steht für niedrigschwelliges und ortsnahes Angebot, um Menschen zu helfen, die auch ohne festen Wohnsitz Anspruch auf Heimat haben.
Aus der täglichen Praxis berichtete Barbora Pokorny, Leiterin des TagNacht-Halts in der Landshuter Straße. "Obdachlosigkeit ist eine Ausnahmesituation, eine Krise mit besonderen Bedürfnissen, die schwierig in einer Sammelunterkunft zu stillen sind", so Pokorny. Vor Ort stehen Sozialpädagogen für die Bewältigung alltäglicher, vor allem auch behördlich notwendiger Aufgaben zur Seite, ein Reinigungsdienst sorgt für sehr gute hygienische Voraussetzungen. Richtungweisend sei die Kooperation mit dem Bezirksklinikum, die eine psychiatrische Sprechstunde für die Klientinnen und Klienten ermöglicht, auch wenn sie keine Krankenversicherung haben.
Die Wichtigkeit von familiengerechtem Wohnraum unterstrich Ina Norgauer von der Familienwerkstatt e.V., die sich um kinderreiche Familien in der Notwohnanlage Aussiger Straße kümmert. Die Stadt Regensburg arbeite mit Hochdruck daran, dass die Aussiger Straße zum Auslaufmodell werde. "Wenn es nur das Geld wäre", wies Bürgermeisterin Dr. Freudenstein auf die Notwendigkeit der Schaffung von adäquatem Wohnraum hin. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg aus der Armut sei auch die digitale Teilhabe, brachte Dr. Carsten Lenk, Geschäftsführer des Evangelischen Bildungswerkes, in die Diskussion ein. Auch hier leistet die Caritas mit dem Streetnet-Café und der Aktion Handyspende über ein eigens eingerichtetes Begegnungsbüro in der Obermünster Straße 12 einen sehr praktischen Beitrag.
Der Diskussionsabend im Caritas Beratungszentrum St. Gabriel war Teil einer Veranstaltungsreihe, die an weiteren vier Dienstagen verschiedene Aspekte des neuen Regensburger Armutsberichts beleuchtet.