„Wir brauchen langfristigen Wohnraum“
Die aktuelle Fluchtbewegung stellt auch die Pfarreien im Bistum Regensburg vor große Herausforderungen. Worauf es jetzt ankommt, erklärt Christina Engl, Flüchtlingsbeauftragte des Bistums und Referatsleiterin "Soziales Profil der Kirche" bei der Caritas.
Vier Wochen sind seit dem Angriff auf die Ukraine vergangen. Drei Millionen Menschen haben seither das Land verlassen. Die Fluchtbewegung gilt als die größte seit dem Zweiten Weltkrieg. Was bedeutet das für die Pfarreien im Bistum Regensburg?
Die Aufgabe, die uns zufällt, ist, den Geflüchteten eine Zuflucht zu bieten. Wir wissen aktuell nicht, wie viele kommen und wie lange sie bleiben werden. Noch sind die meisten Geflüchteten in den Nachbarländern. Die Lage ist komplex und dynamisch. Wir müssen Klarheit und Sicherheit in einer unsicheren Situation erlangen. Nur so können wir gut agieren. Meine Aufgabe besteht darin, den Überblick zu behalten, mich über die aktuellen Entwicklungen am Laufenden zu halten - und diese Informationen an die weit über 600 Pfarreien im Bistum weiterzugeben. Ich muss den Fokus halten und mich fragen: Wer braucht jetzt welche Information?
Welche Information ist derzeit relevant für die Helferinnen und Helfer?
Vergangene Woche hat sich die rechtliche Lage zur Verteilung von Geflüchteten aus der Ukraine geändert: Es gilt der sogenannte Königsteiner Schlüssel. Da geht es um die gerechte und angemessene Verteilung von Schutzsuchenden auf die Bundesländer. Bislang hatten die Geflüchteten aus der Ukraine freie Wohnortwahl. Das ändert sich nun. Denn Knotenpunkte wie Berlin, München oder Hamburg, aber auch kleinere Orte an der deutsch-polnischen Grenze sind überlastet. In Regensburg kamen bislang vergleichsweise wenig Flüchtende an. Das wird sich in den kommenden Wochen ändern. Wir rechnen mit Bussen aus Berlin oder München.
Diese Menschen brauchen Wohnraum.
Genau. Womöglich für sehr lange Zeit. Besonders wichtig ist deshalb langfristiger Wohnraum.
Bezahlbarer Wohnraum gilt schon jetzt als Mangelware. Was können die Pfarreien tun?
Für das Bereitstellen von Wohnraum sind rechtlich gesehen erst einmal die Landratsämter und kreisfreien Städte zuständig. Wir bauen hier keine Parallelstrukturen auf, sondern geben mögliche Unterkünfte an die zentralen Stellen weiter. Denn natürlich stellen Caritas und Kirche Wohnraum zur Verfügung. Der Domkapitular Thomas Pinzer spricht von einer wachsenden Zahl an Plätzen im hohen dreistelligen Bereich, die von der Kirche bistumsweit angeboten werden. Ins Haus des verstorbenen Papstbruders Georg Ratzinger ist eine Familie aus der Ukraine eingezogen; darunter eine Hochschwangere, die ihr viertes Kind erwartet. Die Pfarrei St. Georg in Schwabelweis hat zwei Familien in einer leerstehenden Hausmeisterwohnung untergebracht. Im Pfarrhaus in Illkofen wohnen eine ukrainische Großmutter, deren Tochter und die zwei Enkelinnen. Im Prinzenweg in Regensburg möblieren Ehrenamtliche der Dompfarrei ein Wohnhaus, das mehrere Plätze für Geflüchtete hat. Die KJF bietet Plätze an und auch das Kloster Ensdorf. Zudem motivieren die Pfarreien ihre Mitglieder, eigenen Wohnraum bereitzustellen.
Was muss ich wissen, wenn ich eigenen Wohnraum zur Verfügung stellen möchte?
Grundsätzlich ist das recht unkompliziert. Geflüchtete aus der Ukraine haben einen sicheren Aufenthaltsstatus. Sie müssen kein langwieriges Asylverfahren durchlaufen. Man kann Wohnraum kostenlos anbieten oder einen Mietvertrag abschließen, entweder mit den Ukrainerinnen selbst oder mit dem zuständigen Landratsamt oder der kreisfreien Stadt. Wer einen Mietvertrag abschließt, muss beachten: Die Miete muss im Sinne der Sozialgesetze angemessen sein, damit sie vom Sozialamt übernommen wird. Die angemessene Mietpreishöhe ergibt sich aus der Personenzahl, der Wohnfläche und dem regionalen Mietspiegel. Informationen dazu geben die jeweiligen Sozialämter.
Wo biete ich diesen Wohnraum an?
Die Landratsämter und kreisfreien Städte haben Meldeplattformen und Koordinierungsstellen geschaffen. Die genauen Ansprechpartner gibt es hier und auf unserer Webseite zum Download.
Im Jahr 2015 mussten ebenfalls hunderttausende Geflüchtete untergebracht und versorgt werden. Helfen die Erfahrungen von damals, die Krise heute zu bewältigen?
Ja, die Erfahrungen von damals helfen enorm. Helfernetzwerke und auch Strukturen, die sich etabliert haben, werden nun wieder aktiviert.
Was ist anders als damals?
Das Tempo des Zuzugs ist höher. Mehr als 200.000 Menschen sind innerhalb von drei Wochen nach Deutschland gekommen. Die Zahlen der Ankommenden dürfte die von damals weit überschreiten. Zudem flüchten aus der Ukraine vor allem Frauen und Kinder, Männer dürfen das Land nicht verlassen. Der Bedarf an Plätzen in Kindergärten und Schulen wird höher sein. Und: Der Krieg ist näher. Konflikte waren bislang weit weg. Doch dieser Krieg ist nah. Das macht etwas mit den Deutschen. Einige empfinden die Situation als Riesenbelastung. Die Hilfsbereitschaft und die Solidarität sind zugleich riesig. Vielleicht führt diese Krise zu mehr gesellschaftlichem Zusammenhalt.