„Wenn wir verstehen wollen, müssen wir hinsehen“
Die Autorin und Journalistin Sineb El Masrar war kürzlich im Rahmen der interkulturellen Wochen in Regensburg zu Gast. Die KEB Stadt Regensburg, CampusAsyl, die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die Buchhandlung Dombrowsky und die Caritas Regensburg veranstalteten einen Diskussionsabend mit der Publizistin rund um die Themen "Verschwörungsmythen und Antisemitismus". Sineb El Masrar zeigte dabei einen Einblick in ihr Theaterstück "Dunkle Mächte" und ging anschließend in einen inhaltlichen Austausch mit dem Publikum.
Der Abend wurde moderiert von Roland Preußl, dem geschäftsführenden Bildungsreferenten der KEB Stadt Regensburg, und begann direkt mit drei Fragen an das Publikum: "Kennen Sie jemanden, der Verschwörungstheorien glaubt oder verbreitet? Welche Inhalte werden hier geglaubt oder verbreitet? An welchen Orten ist Ihnen dies begegnet?" Eine kurze Abfrage bestätigt Sineb El Masrars Theorie: Jede oder jeder kennt jemanden, der oder die an Verschwörungstheorien glaubt; spätestens seit der Corona-Pandemie.
Der Trailer des Theaterstücks wurde gezeigt und Sineb El Masrar berichtete, wie ihre Karriere als Dramaturgin begann. Das Westfälische Theater hatte sie eigentlich zunächst zu einem anderen Thema angefragt, nämlich Feminismus. El Masrar nahm ein Jahr später die Auftragsarbeit an, differenzierte das gewünschte Thema aber noch etwas aus. In Ihrem Theaterstück "Dunkle Mächte" wird exemplarisch aufgezeigt, wie Verschwörungserzählungen Menschen vereinnahmen und voneinander entfernen können. Sineb El Masrar wählte bewusst Figuren mit und ohne Migrationsgeschichte und bricht dabei mit Schubladendenken jeglicher Art.
El Masrar erklärte weiter, dass antifeministische und antisemitische Strömungen oft nicht weit voneinander entfernt wären. Egal, ob Antifeminismus, Antisemitismus, Islamismus oder Rechtsextremismus - sämtliche "Ismen" funktionierten nach dem gleichen Prinzip: Eine bestimmte Gruppe, oft einer Minderheit angehörend, wird als Sündenbock für das entstandene oder gegenwärtige Leid gewählt. Es sei stets die quasi gleiche Erzählung, die nur in neuen Facetten auftaucht.
Nicht anders kämen demnach Verschwörungsmythen zu Stande. Sobald ein gehörtes Narrativ passe, würde es in die eigenen Theorien inkludiert. So würden zwar die Theorien immer weiterentwickelt und tradiert, hätten aber doch am Ende alle den gleichen Kern. Und so sei es bei vielen der bekannten Verschwörungstheorien oft eine vermeintliche Elite, die verantwortlich gemacht werde.
Sineb El Masrar und das Publikum waren sich aber darüber einig, dass Menschen, die an solche Verschwörungsmythen glaubten, nicht aus unserer Gesellschaft ausgeschlossen werden sollten. El Masrar sagte vielmehr: "Wenn wir verstehen wollen, müssen wir auch hinsehen". El Masrar ermunterte dazu, nicht die Augen zu verschließen, sondern mit offenem Herzen und wachem Verstand den Menschen zu begegnen. Die Menschen seien oft auf argumentativer Ebene nicht mehr zu erreichen. Es sei somit umso wichtiger, die persönliche und emotionale Ebene der Menschen anzusprechen und an die einstige Verbundenheit miteinander zu appellieren.
El Masrar erinnerte daran, dass beispielsweise hinter all den Menschen auf der Straße bei den Querdenker-Demos persönliche Geschichten und zum Teil Schicksalsschläge stünden. Die Menschen fanden sich letztlich aber, vor allem je lauter und provokanter ihre Aussagen waren, im Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit wieder. Sineb El Masrar ergänzte abschließend: "Hätten die Menschen dort ihre persönliche Geschichte erzählt, hätte ihnen wohl niemand zugehört."
Über die Autorin (aus dem Programmheft der interkulturellen Wochen 2022):
Sineb El Masrar, lebt und arbeitet als hochgeachtete Publizistin, Schriftstellerin und Autorin in Berlin. Seit 2013 ist sie Jurorin beim Europäischen Medienpreis CIVIS. Als freie Autorin schreibt sie u.a. für DIE WELT, DIE ZEIT, taz und ist Kolumnistin für das Goethe Institut. Im Bereich Fernsehen arbeitet Sineb El Masrar für ZDFinfo, ARTE sowie für Filmproduktionsfirmen als Autorin sowie Beraterin für Dokumentationen und fiktionale Stoffe. Ihre Bücher "Muslim Girls" (2015) und "Muslim Men" (2018) wurden in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung aufgenommen. Im Rahmen der Recherche zu ihren letzten beiden Büchern "Emanzipation im Islam" und "Muslim Men" hat sie sich intensiv mit den Themenbereichen gesellschaftlicher Extremismus, Antisemitismus und Verschwörungsmythen auseinandergesetzt.
Gastbeitrag von Carla Schäfer