Pontifikalamt im Dom St. Peter zum goldenen Jubiläum der Caritas Schwangerschaftsberatung im Bistum Regensburg (Foto: H.C. Wagner)
Predigt von Bischof Rudolf Voderholzer zur Messfeier am Sonntag, 14. Juli 2024 im Regensburger Dom anlässlich der Feier von "50 Jahre Schwangerenberatung" durch die Caritas im Bistum Regensburg:
Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas,
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!
Das Evangelium des heutigen Sonntags nimmt uns mit in die Ursprungssituation der Kirche, die freilich nicht bloße Vergangenheit ist, sondern als normativer Ursprung mitgeht und jeder Phase der Kirchengeschichte gegenwärtig ist.
Wir haben gehört: Jesus rief die "Zwölf" zu sich und sandte sie aus je zu zweit. Es ist seine Initiative, sein Werk, seine Kirche.
Nicht von "Jüngern" oder "Aposteln" ist interessanter Weise die Rede, sondern vom Kollegium, von der feststehenden Größe der Zwölf, mit deren Erwählung Christus den Anspruch verbindet, das Volk Gottes, das Zwölf-Stämme-Volk, zu erneuern.
Er sendet sie zu zweit, weil Nachfolge Christi nicht Vereinzelung oder Isolation bedeutet, sondern Teilhabe an einer neuen Gemeinschaft, einer neuen Familie, vor allem aber weil die Sendung mit einer Zeugenschaft verbunden ist; weil als glaubwürdig - damals wie heute - nur das gelten kann, was durch zwei Zeugen bestätigt wird: Sein Wort, und, nachösterlich, sein Paschamysterium, sein Heilstod und seine Auferstehung, mit der schließlich alles in eine neues Licht getaucht ist und verwandelt wird.
Und im Konkreten beinhaltet der Sendungsauftrag "in nuce" bereits alles, was eine spätere Theologie als die drei Grundvollzüge der Kirche zusammenfasst: Verkündigung (Umkehrpredigt), Liturgie (Salbung der Kranken) und Diakonie (Vertreibung der Dämonen, der unreinen Geister, d.h. Dienst am Leben), wobei die konkrete, heilende Zuwendung zu den Menschen das Wort der Verkündigung bestätigt und bekräftigt.
Diese Sendung in die Welt blieb nicht ohne Wirkung, vor allem auch nicht in ihrer humanisierenden Dimension. Wir haben dafür etliche Zeugnisse aus unverdächtigem Munde.
Ich erinnere nur an den Schriftsteller Heinrich Böll, der 1957 in einem Beitrag für ein vom Kirchenkritiker Karlheinz Deschner herausgegebenes Buch die bemerkenswerten Worte formulierte, ich zitiere: "Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache und mehr noch als Raum gab es für sie: Liebe für die, die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen."[1]
Was prinzipiell Auftrag und Sendung ist für alle Christinnen und Christen, bedarf in einer immer komplexer werdenden Welt auch der Spezialisierung und Professionalisierung. Und ich bin der Caritas in all ihren Ebenen und Abteilungen zutiefst dankbar dafür, dass sie diese tragende Säule des christlichen Lebens mit so viel Kompetenz, Herzblut, Sensibilität für die je neuen Herausforderungen so stabil und tragfähig halten.
Der tiefste Grund für die christliche Anwaltschaft für das Leben ist ein zweifacher: zum einen die Überzeugung, in jedem und jeder Bedürftigen Christus selbst zu begegnen, der in der Parabel vom Endgericht gesagt hat: "Was ihr dem Geringsten meiner Schwestern und Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (vgl. Mt 25,40).
Zu dieser christologischen Begründung kommt zweitens und noch grundlegender die schöpfungstheologische Gewissheit von der Gottebenbildlichkeit eines jeden menschlichen Geschöpfes und die darin gründende Würde von der Zeugung bis zum natürlichen Ende. Das Leben, das wir uns nicht selbst geben können, ist immer ein Geschenk.
Es gehört zu den humanisierenden Wirkungen der christlichen Botschaft, dass der Schutz der unantastbaren Würde jeder menschlichen Person in unserem Land sogar Verfassungsrang bekommen hat.
Unter dem Eindruck der verheerenden Folgen einer neopaganen Gesellschaftsordnung schrieben die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes 1949 gleich als ersten Artikel:
Bischof Dr. Rudolf Voderholzer hält die Predigt. (Foto: H.C. Wagner)
"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." (Art. 1 GG). Die mit der unantastbaren Würde verknüpften Rechte gelten für das Leben jeder menschlichen Person vom ersten Augenblick der Empfängnis bis zu ihrem letzten Atemzug, unabhängig davon, ob die betreffende Person den ästhetischen, ökonomischen oder sonstigen Erwartungen und Vorstellungen anderer oder der Gesellschaft entspricht.
Die Väter und Mütter des Grundgesetzes waren dabei von der Überzeugung geleitet, dass dieser erste Artikel auch unabhängig von der Glaubensüberzeugung evident ist und beispielsweise mit der Philosophie des Deutschen Idealismus begründet werden kann: mit I. Kant etwa, der davon gesprochen hat, dass jede menschliche Person letztlich ein Zweck an sich selbst ist und nicht anderen Interessen geopfert werden darf.
Wo freilich diese Evidenz bestritten wird, hilft nur der Rekurs auf die Überzeugung von der Gottebenbildlichkeit jeder menschlichen Person.
Die Beratungstätigkeit der Caritas ist dabei von der Überzeugung geleitet, dass diese Würde dem Menschen vom Augenblick der Zeugung an zukommt. Jeder spätere Zeitpunkt einer vermeintlichen Menschwerdung des Menschen als Person ist willkürlich. Die schutzwürdige Person ist immer schon das Subjekt einer wie auch immer gearteten Entwicklung.
Und sie ist auch von der Überzeugung geleitet, dass die Situation der Frauen nicht noch dadurch erschwert werden sollte, dass von einer vermeintlichen Entscheidungssituation über das Leben gesprochen wird. Eine vermeintliche Entscheidung, deren Last dann oft den Frauen auch noch allein aufgebürdet wird. Wir glauben mit guten Gründen, dass mit der Zeugung die Entscheidung für das Leben gefallen ist und jetzt alles darauf ankommt, zu helfen, dass die möglichen Hindernisse aus dem Weg geräumt werden.
Als Christinnen und Christen sind wir Lobbyisten des Lebens.
Dazu gehört noch viel mehr als nur die Schwangerenberatung im engen Sinn. Ich höre immer wieder und habe mich jetzt in der Vorbereitung auch noch einmal kundig gemacht:
Es geht nicht nur um die Beratung in den neun Monaten der Schwangerschaft, sondern auch um Begleitung und Hilfestellung in vielen Lebensfragen bis zum 3. Lebensjahr des Kindes; wenn möglich Einbeziehung des familiären Umfeldes, vor allem auch der Väter, die nicht aus der Verantwortung entlassen werden dürfen.
Und so kann ich Ihnen, Frau Dotzer, und allen ihren Mitarbeiterinnen vor allem nicht genug danken für Ihren Einsatz für das "Geschenk des Lebens", für Ihr Einstehen für eine "Kultur des Lebens und der Liebe".
Mein Dank, er gilt an dieser Stelle auch allen, die durch ihre treue Entrichtung der Kirchensteuer und darüber hinaus auch durch ihre Spenden die Arbeit der Caritas möglich machen, insbesondere die Schwangerenberatung, die fast ausschließlich aus kirchlichen Mitteln finanziert wird.
Was soll ich Ihnen wünschen angesichts des runden Geburtstags. Ich weiß, dass es nicht despektierlich ist sondern dass es Ihrem Wunsch selber entspräche, zu hoffen, dass es Sie gar nicht bräuchte; dass unsere Gesellschaft als Ganze dem Leben gerade auch in seiner bedrohten und von manchen Schwierigkeiten begleiteten Phase selbst so wohlwollend und freigebig entgegenkäme, dass es der institutionellen Beratung gar nicht bedürfte. Aber das ist hier so unrealistisch wie in all den anderen Bereichen der Caritas auch. Was die Schwangerenberatung betrifft, so ist, wie ich höre, die Inanspruchnahme und somit der Bedarf kontinuierlich gewachsen.
Und so kann ich Ihnen nur wünschen, dass Sie alle weiterhin mit viel Verständnis, Zuwendungskraft, einfühlsamer Liebe, psychologischer und auch ökonomischer Phantasie den Frauen und ihren Familien beistehen; dass sie immer wieder auch Signale der Dankbarkeit erfahren dürfen; auch, dass sie die gesellschaftliche Wertschätzung erfahren, die Ihnen gebührt als Anwältinnen des vom Grundgesetz geschützten Lebens.
Eine der schönsten Hymnen auf den Dienst der Caritas ist die Antiphon des Gründonnerstages:
"Ubi caritas et amor, Deus ibi est."
Ich rufe es Ihnen heute zu als Ausdruck meiner Dankbarkeit und Wertschätzung: Wo die Liebe und die Güte wohnt, da wohnt Gott.
Amen.
[1] Eine Welt ohne Christus, in: Karlheinz Deschner (Hg), Was halten Sie vom Christentum?, 1957.