Selbstbestimmt über das eigene Leben entscheiden: Für uns Menschen ist das ein zentrales Bedürfnis. Auch das Grundgesetz sichert uns in Artikel 2 das Recht auf Selbstbestimmung zu. Um auch dann noch den eigenen Willen erfüllt zu bekommen, wenn andere darüber entscheiden müssen, bedarf es Vorkehrungen. Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten sind keine Frage des Alters - und dennoch werden sie spätestens am Ende des Lebens zu einem zentralen Thema. "Sie sind zumindest in der stationären Langzeitpflege nicht mehr wegzudenken", sagt Victoria Guggenthaler. Die Pflegedienstleiterin im Caritas Alten- und Pflegeheim Marienstift in Straubing hat sich in Advance Care Planning (vorausschauende gesundheitliche Versorgungsplanung) weitergebildet. Sie berät Bewohnerinnen und Bewohner sowie ihre Angehörigen bei der gesundheitlichen Versorgungsplanung. Geregelt ist das Konzept im Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung. Von ihm profitieren gesetzlich Versicherte: Ihre Krankenkassen übernehmen die Beratungskosten.
In Gesprächen die Sorgen nehmen
Im Vordergrund steht der Wille der Betroffenen. Gemeinsam mit ihnen und ihrer Vertrauenspersonen prüft Guggenthaler bestehende Vollmachten und Verfügungen. Das Beratungsangebot orientiert sich an der individuellen Situation der Bewohnerin oder des Bewohners. Nach seinen Wünschen wird die medizinisch-pflegerische Versorgung und Betreuung abgestimmt: "Dabei mache ich Betroffene und Angehörige auf bestimmte Aspekte aufmerksam, welche die meisten herkömmlichen Patientenverfügungen nicht beinhalten." So regele eine übliche Patientenverfügung beispielsweise nicht, was genau in einem Notfall abhängig vom Gesundheitszustand zu tun oder zu unterlassen sei. "Welche Strapazen würden die Betroffenen auf sich nehmen, die beispielsweise eine längere intensivmedizinische Behandlung mit sich bringt? Wo sind ihre ‚roten Linien’? Was darf auf gar keinen Fall passieren und worauf basieren bestimmte Aussagen? Gibt es bereits Erfahrungen im näheren Umfeld in Bezug auf schwere Krankheiten, Pflegebedürftigkeit und dem Sterben, oder handeln sie aus der sogenannten ‚sozialen Erwünschtheit’ heraus, um ‚niemanden zur Last zu fallen’?" Diese Fragen bespricht Guggenthaler in mehreren Gesprächen intensiv. Auch Fallbesprechungen sind ein Bestandteil ihrer Arbeit. Darin werden auch behandelnde Ärzte mit einbezogen.
Dokumentation der Willensäußerung
"Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner bringen bereits beim Einzug Patientenverfügungen mit. Es hat den Anschein, dass mittlerweile immer mehr Menschen sich mit diesem Thema auseinandersetzen", so Guggenthaler. Besteht noch keine Verfügung, bietet sie die Möglichkeit, gemeinsam eine solche zu verfassen. Natürlich sei das Angebot freiwillig. Niemand müsse das tun.Guggenthaler dokumentiert all diese Gespräche detailliert: Dauer, die Namen der Beteiligten, vorhandene Unterlagen und den Verlauf des Beratungsprozesses. Am Ende steht eine Willensäußerung, die so individuell ist, wie die Menschen selbst. Sie wird von den Betroffenen nie am gleichen Tag unterschrieben, erst wenn sie sich inhaltlich damit auseinandergesetzt haben. Die Willensäußerung ist nicht nur für die Betroffenen selbst entlastend, sie dient den Vertrauenspersonen und Bevollmächtigten als klare Handlungsanweisung. Das erleichtert es Angehörigen in vielen Fällen, richtig und nach dem Wunsch der Betroffenen zu entscheiden.
Wahl einer Vertrauensperson
Sorgen entstehen dann, wenn Bewohnerinnen und Bewohner glauben, dass ihr Wille trotz Verfügung nicht berücksichtigt wird, sagt Guggenthaler. Auch diese Sorge wolle sie den Menschen in den Gesprächen nehmen. Sie rät den Betroffenen, sich frühzeitig zu überlegen, welche Personen als Bevollmächtigte infrage kämen. "Sie sind im Ernstfall das Sprachrohr des Verfassers oder Verfasserin. Wir binden die Vertrauensperson deshalb von Anfang an in die Gespräche ein."
Krankenkassen ohne Einblick
Verwahrt wird das Original der Willensäußerung in der Einrichtung. "Die Bewohner und deren Bevollmächtigte erhalten eine Kopie. Wir verwahren das Original so, dass das Fachpersonal jederzeit bei Bedarf darauf zugreifen kann", sagt Guggenthaler. Dem Rettungsdienst, dem Krankenhaus oder einem anderen Leistungserbringer wird das Original nur ausgehändigt, wenn Betroffene dem im Vorfeld zugestimmt haben. Keine Einsicht in die Willensäußerung erhalten die Krankenkassen der Betroffenen. Lediglich ein Formblatt nach Abschluss des Beratungsprozesses wird diesen übermittelt. Es dient zur Abrechnung der Beratungsleistung.
Für Victoria Guggenthaler ist dieser Beratungsprozess mehr als nur ein Angebot. Sie hilft den Menschen, sich in der Endphase ihres Lebens vorbereitet und sicher zu fühlen. Gemeinsam mit den Vertrauenspersonen schafft sie Sicherheit, so dass der individuelle Wille der Betroffenen auch umgesetzt wird.