Was bedeutet es, sterbende Demenzkranke gut zu betreuen?
Für mich bedeutet es, die Würde jedes Einzelnen zu achten und ihn individuell zu begleiten. Mein Ziel ist es, die Lebensqualität der Betroffenen trotz unheilbarer Erkrankung zu verbessern. Jeder an Demenz erkrankte Mensch ist sehr sensibel und verletzlich. Sie können spüren, ob sie liebevoll umsorgt werden. Für mich ist es im Pflegealltag am Schönsten, wenn ich in der Gestik oder Mimik ein Lächeln des Betroffenen sehe.
Über die Sprache sind viele Ihrer Bewohner nicht mehr zu erreichen. Wie stellen Sie Kontakt her?
Ich versuche zunächst über Gespräche mit Angehörigen oder Bekannten herauszufinden, welche Vorlieben, Hobbys, Abneigungen oder prägenden Erlebnisse der Betroffene hatte. Nach dieser Biografiearbeit versuche ich den dementiell erkrankten Menschen über die Sinne zu erreichen, also über das Hören, Spüren, Riechen und Sehen. Ich spiele beispielsweise vertraute Lieder von CD ab, singe mit den Betroffenen oder spreche mit ihnen Gebete. Beim Spüren und Riechen geht es um achtsame Berührungen oder Einreibungen und das Anwenden von ätherischen Ölen bei Aromawaschungen oder zur Raumbeduftung. Zum Sehen gehört, dass wir beispielsweise die Räume entsprechend den Jahreszeiten gestalten.
Sie haben im Rahmen eines Modellprojekts der Caritas Regensburg (siehe Zusatzinfo) eine Ausbildung zur Aromaexpertin gemacht. Helfen Duftöle gegen die Leiden einer Demenz?
Aromapflege wirkt ganzheitlich, das heißt ein guter Duft im Bewohnerzimmer pflegt nicht nur den Patienten, sondern auch deren Angehörige. Es ist für einen Besucher bestimmt nicht einfach, beispielsweise seinen Vater zu besuchen, wenn die Luft unangenehm riecht.
Aromapflege wirkt beim Betroffenen sanft und zugleich intensiv. Sie kann das Wohlbefinden des Betroffenen steigern und somit die Selbstheilungskräfte aktivieren und die Immunabwehr steigern. Je nach Bedarf des Betroffenen können Duftöle dem Leiden entgegenwirken.
Ich wende Aromapflege gerne bei unruhigen Bewohnern an, die nachts nicht schlafen können. Beispielsweise habe ich bei einer sehr unruhigen Demenzerkrankten eine Aromapflege durchgeführt. Eine Handmassage entspannte sie so sehr, dass sie anschließend kein Medikament mehr zum Einschlafen brauchte.
Welches Öl haben Sie bei der Frau verwendet?
Ich habe Seelenöl verwendet. Das Seelenöl mische ich selbst. Inhaltsstoffe sind Mandelöl und verschiedene ätherische Öle wie Orange süß und Lavendel. Es wird gerne in der Sterbebegleitung verwendet, zum Beispiel für eine Handmassage. Es wirkt auf die Betroffenen beruhigend und gleichzeitig fühlen sie sich geborgen. Zudem ist es hautverträglich. Bei einer Anwendung muss am Tag zuvor dennoch ein Hautverträglichkeitstest durchgeführt werden und bei regelmäßiger Anwendung der Hausarzt und die Angehörigen informiert werden.
Wie reagieren die Angehörigen?
Viele Angehörigen reagieren auf die Fürsorge positiv. Einige haben selbst Aromapflegeprodukte oder Musik-CDs mitgebracht.
Dient die Aromapflege vor allem der Beruhigung?
Nein. Aromapflege ist vielseitig einsetzbar aufgrund der unterschiedlichen Wirkungen und Anwendungsarten der Öle. Es gibt zum Beispiel auch Öle, die den Kreislauf anregen. Bei sehr müden Menschen kann man Duftöle am Tag verwenden, die vitalisierend wirken. Im Allgemeinen wirkt die Aromapflege lindernd und unterstützend in der Pflege und in der Sterbebegleitung.
Bei einer Betroffenen führte ich beispielsweise regelmäßig Mundpflege mit ätherischen Ölen durch. Seitdem isst und trinkt sie wieder besser. Eine andere Bewohnerin, die oft teilnahmslos schien, hat während der Aromapflege plötzlich geweint. Seitdem nimmt Sie am Leben wieder mehr teil und antwortet auf Fragen.
Das klingt nach einer wundersamen Medizin.
Ja. Und dennoch wird es von vielen Menschen belächelt. Das habe ich am Anfang auch getan. Wenn man aber in der Anwendung von Aromaölen positive Erfahrungen sammelt, denkt man anders. Bei einer Bewohnerin mit Hautkrebs konnte dank der regelmäßigen Anwendung von Rosenhydrolat das Kortison reduziert werden. Natürlich wird jede Anwendung von Aromaölen und Hydrolaten vorher mit dem Hausarzt abgesprochen.
Mein Ziel ist es auch, bei der täglichen Waschung von palliativ dementiell Erkrankten auf Seife zu verzichten und Aromaöle zu verwenden. Die Betroffenen fühlen sich viel wohler und die Öle sind hautverträglicher als Seifen.
Spricht der Duft eher Frauen als Männer an?
Das kann man nicht sagen, das ist eine Charakterfrage. Und eine Frage der Düfte: Bei einem Mann würde ich zum Beispiel nicht mit Rosenwasser arbeiten. Da nehme ich lieber Eukalyptus, wie in der Sauna. Aber natürlich ist da jeder anders. Es ist immer wichtig, die Menschen und ihre Biografien zu kennen. Einem Vertriebenen, der den Krieg noch erlebt hat, würde ich zum Beispiel niemals mit dem Duft von Kiefer oder Tanne kommen.
Warum nicht?
Durch den Duft der Kiefer oder der Tanne könnte sich der Betroffene an unangenehme Erfahrungen aus der Vergangenheit erinnern, was zu einer negativen Reaktion führen könnte. Vielleicht musste er sich auf der Flucht im Wald verstecken.
Arbeiten Sie nur mit Ölen - oder auch mit anderen Gerüchen?
Ich arbeite auch mit Hydrolaten, zum Beispiel Rosenhydrolat, oder mit Orangenblütenwasser. Ich besprühe beispielsweise damit Schmetterlinge aus Heilwolle und nutze sie als Raumdekoration. Natürlich setzen wir auch natürliche Düfte ein: Wenn ich weiß, dass jemand gerne im Garten war, bringe ich ihm eine Blume von zu Hause mit.
Wie reagieren Ihre Kollegen auf die Aromapflege?
Viele Kollegen sind sehr interessiert und wollen mehr darüber erfahren. Einige wollen aufgrund der positiven Auswirkungen auf die Betroffenen künftig gerne auch Aromapflege in ihren Pflegealltag integrieren.
Zusatzinfo: Über das Modellprojekt "Achtsame Begleitung und Fürsorge von dementiell erkrankten Menschen"
Für das Modellprojekt "Achtsame Begleitung und Fürsorge von dementiell erkrankten Menschen" der Caritas Regensburg werden Pflegefachkräfte mit Weiterbildung Palliative Care zwei Stunden pro Woche freigestellt, um sich intensiv diesem Thema zu widmen. Zwei Palliativfachkräfte haben sich im Rahmen des Projektes zu Aromaexpertinnen ausbilden lassen, eine davon ist Silvia Lindner. Projektpartner sind das Caritas Alten- und Pflegeheim Prälat-Walter-Siegert-Haus in Vohenstrauß und das Seniorenheim St. Elisabeth in Bruck. Leiterin des Projekts ist Anita Kerscher, Referentin für Hospizarbeit und Palliative Care beim Diözesan-Caritasverband Regensburg. Finanziert wird das Projekt zu einem großen Teil durch den Hospizfonds.